Das breite Tal des Welter Baches erstreckt sich am Fuße des Dülmener Höhenrückens im Bereich der Bauernschaften Welte und Empte bei Dülmen. In dem flachwelligen Relief des Kleimünsterlandes formte der Bach im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte ein sanft geschwungenes bis zu 300 Meter weit ausgezogenes Tal. In der Talsohle stockten einst ganzjährig überschwemmte Erlenbruchwälder, von deren Existenz noch heute bis zu 50 cm mächtige Torfböden zeugen. An der Verbreitungsgrenze der wassergesättigten Anmoorgleyböden aus organischer Substanz treten hangaufwärts Gleyböden auf mineralischem Grund hervor. Auf den nur geringmächtigen Oberboden folgt in ein bis zwei Meter Tiefe Mergel als Ausgangsgestein. Das feste Mergelgestein fungiert als Grundwasserleiter. Das Grundwasser durchsickert den Boden auf seinem Weg von den Talflanken zum tiefsten Geländepunkt, der dem Verlauf des Welter Baches entspricht. Diese geologischen Gegebenheiten bescheren dem Bachtal ganzjährig hohe Grundwasserstände bis an die Flurobergrenze.
Die Rodung der Wälder liegt geschichtlich weit zurück. An ihrer Stelle entwickelten sich über viele Jahrhunderte Nasswiesengesellschaften. Weite Teile der Wiesen waren mehr als die Hälfte des Jahres überschwemmt. Flutrasen entstanden, die an diese Verhältnisse besonders angepasst waren.
Eine erste Bachbegradigung, die bereits vor über hundert Jahren erfolgte, änderte die Wasserstandsverhältnisse noch nicht durchgreifend. Erst vor wenigen Jahrzehnten begann mit Hilfe moderner Meliorationsmethoden eine nachhaltige Entwässerung, in deren Folge sogar einige Ackerflächen bis zu den Bachufern vorgetrieben wurden.
Im Rahmen einer Diplomarbeit (GROß) wurden vor 10 Jahren die Grünlandgesellschaften untersucht und vegetationskundlich beschrieben. Bereits ein Jahr vor Beginn der Untersuchungen hatte die Bezirksregierung Münster einen 31,5 ha großen Ausschnitt der Aue einstweilig sichergestellt. Für das später als NSG ausgewiesene Gebiet erstellte GROß 1994 einen Pflege- und Entwicklungsplan in Zusammenarbeit mit SCHÄPERS, der bereits 1986 ein "Landschaftsökologisches Optimierungskonzept" für das gesamte Bachsystem bis Karthaus vorgelegt hatte. Die abgebildete Karte aus dem Pflege- und Entwicklungsplan gibt die damalige Verbreitung der Grünlandge-sellschaften im NSG und einigen angrenzenden Bereichen wieder:
Die großen Sumpfdotterblumenwiesen (Calthion) stellten einen wesentlichen Grund für die Schutzausweisung dar. So findet sich hier die mit 2,5 ha größte intakte Sumpfdotterblumenwiese im Dülmener Raum. Die wirtschaftliche Nutzung war bereits seit langem eingestellt. Dennoch fanden sich kaum auffällige Anzeichen für Verbrachung. Die Wiese zeigte noch den typischen Aufbau der Pflanzengesellschaft (Senecioni-Brometum racemosi, RL 2), allerdings ohne Wassergreiskraut (Senecio aquaticus). Dominanzbildner wie Waldsimse (Scirpus sylvaticus) oder Scharfe Segge (Carex gracilis) beherrschten kleine Flecken von unbedeutender Größe. Der gute Zustand war einem alljährlich aus Ordnungsliebe durchgeführten Mulchschnitt durch den damaligen Eigentümer zu verdanken.
Ein wahres Kleinod fand sich in einem Freizeitgelände. Sein Besitzer pflegte auf einer etwa 1.000 m2 großen Sumpfdotterblumenwiese ein mehrere hundert Exemplare zählendes Vorkommen des Breitblättrigen Knaben-krautes (Dactylorhiza majalis, RL 2N). Der Naturliebhaber hatte 10 Jahre zuvor zwei Orchideen entdeckt. Aus Begeisterung über seinen Fund stellte er jegliche Düngung ein, mähte und räumte die Wiese fortan einmal jährlich. Die Orchideen dankten es mit rascher Ausbreitung auf dem schnell aushagernden wassergesättigen Bruchwaldtorfboden.
In nächster Nachbarschaft fand sich eine weitere Besonderheit. In einer ganzjährig etwa knöcheltief Wasser führenden Sumpfwiese erstreckte sich ein ausgedehnter Bestand der Teichschachtelhalm-Gesellschaft (Equisetum fluviatile-Gesellschaft, RL 3). An den Schachtelhalmbestand schlossen sich von mehreren Seiten ausgedehnte Gesellschaften der Zweizeiligen Segge (Caricetum distichae, RL 3) an. Rinder stöberten nutzlos in der wertvollen Vegetation umher und hinterließen ihre Spuren.
Besonders entlang der Weidezäune verdichteten sich die Trittschäden in dem aufgeweichten Moor. Von dem durchgewalkten Boden profitierte allerdings der Sumpf-Dreizack (Triglochin palustre, RL 2), der hier sein einziges bekanntes Vorkommen im Kreis Coesfeld hatte. Abseits der Trampelpfade gediehen Großer Klapper-topf (Rhinanthus serotinus, RL 3N) und Sumpf-Pippau (Crepis paludosa). Auf den Flächen mit höherer Beweidungsintensität trat die feuchte Ausprägung der Weidelgras-Kammgras-Gesellschaft (Lolio-Cynosuretum lotetosum, RL 2) an die Stelle der Sumpfdotterblumenwiesen. Diese blütenreichen Nassweiden mit Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis floscuculi) und Sumpfhornklee (Lotus uliginosus) wurden ihrerseits auf höheren und somit weniger vom Grundwasser beeinflussten Lagen von den typischen Weidel-gras-Weißkleeweiden (Lolio-Cynosuretum typicum) abgelöst.
Kleinflächig wechselnde Nutzungseinflüsse und andere ökologische Parameter führten zu einem Vegetationsmosaik mit großer Spannbreite: Kleinröhrichte der zierlichen Sumpfbinse (Eleocharis palustris-Gesellschaft) fanden sich im Wechsel mit mannshohen Mädesüß-Hochstaudenfluren (Filipen-dulion). Hochproduktive Mähweiden wurden von mageren Säumen mit Frauenmantel (Alchemilla vulgaris agg., RL 3) begleitet. Wie sich herausstellte, lag dem Vegetationsmosaik ein wahrer Flickenteppich an Besitzverhältnissen zugrunde. Die meisten der 13 Eigentümer in dem kleinen Schutzgebiet verteilten ihre Besitzungen auf mehrere Parzellen. So verdankte beispielsweise eine nur einen Morgen kleine Mäde-süß-Hochstaudenflur ihre Entstehung ihrer isolierten Lage gegenüber den anderen Flächen ihres Eigentümers.
Das bis hierher beschriebene hohe Niveau an Vegetationsvielfalt fand sich 1994 nur noch in einem Teil des Naturschutzgebietes. Weite Teile waren durch Entwässerung, Neuansaat mit Intensivnutzung bis hin zu Ackerbau und sogar einzelnen Verfüllungen beeinträchtigt.
Das Amt für Agrarordnung erwarb im Zuge eines laufenden Flurbereinigungsverfahrens ab 1990 erste Flächen in dem Schutzgebiet. Dies war der Beginn der Extensivierung und Rückführung der Aue zu Nutzungsformen, die den natürlichen standörtlichen Gegebenheiten angepasst sind. Die Nordrhein-Westfalen-Stiftung ermöglichte ab 1995 den Flächenerwerb zur Verwirklichung der Ziele aus dem Pflege- und Entwicklungsplan. Bereits drei Jahre später war der vollständige Flächenerwerb durch das Amt für Agrarordnung abgeschlossen.
Die Extensivierung begann also auf einigen Flächen bereits vor 10 Jahren. Auf anderen Flächen liegt der Neuanfang erst zwei Jahre zurück. Alle Ackerflächen wurden in Weiden umgewandelt. Aus den Neueinsaaten mit Weidelgras entwickeln sich seither wieder dichte kräuterreiche Grasnarben der Weidelgras-Weißkleeweiden. Auf den festeren Böden auf mineralischem Grund verläuft die Entwicklung in Abhängigkeit von der Feuchtestufe entweder in Richtung der nassen Weiden mit Sumpfhornklee (Lotus uliginosus), Sumpf-Kratzdistel (Cirsium palustre), Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis) und Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis floscuculi) oder in Richtung der kurzrasigen weniger feuchten typischen Weidelgras-Weiden. Seit der Wiedervernässung haben sich in den Tieflagen entlang des Bachlaufes wieder naturnahe Wasserverhältnisse eingestellt. Ausgedehnte Blänken sind mit Knickfuchsschwanz-Flutrasen (Ranuculo repentis-Alopecuretum geniculati) bewachsen. Die Funktionsaufhebung der Dränagen und neu ausgeschobene weitere Blänken führten zur Entstehung von flachen weit über einen Hektar überschwemmenden Wasserflächen.
Sehr positiv reagieren die Feuchtwiesenarten seither auf die Wiedervernässung. Auf den Anmoorgleyböden gewinnen sie an beständig steigenden Deckungsgraden. Ehemalige Intensivwiesen mit viermaliger Mahd werden wieder von Zweizeiliger Segge (Carex disticha), Waldsimse (Scirpus sylvaticus) und Sumpfschachtelhalm (Equisteum palustre) zurückerobert.
Die veränderte Zusammensetzung der Grünlandvegetation mit ihrem hohen Anteil an Kräutern und Sauergräsern erforderte einen neuen Weg ihrer nutzbringenden Verwendung bzw. der Bewirtschaftung. Seit fünf Jahren befindet sich das Naturschutzgebiet mittlerweile erfolgreich "on the gallo-way". Unter den Hufen der relativ kleinen und leichten Galloway-Rinder regenerieren die nassen Weiden auf Moorböden zu seggenreichen Übergangsstadien der Sumpfdotterblumenwiesen. Eine Umtriebsbeweidung mit geringer Besatzdichte bietet größtmögliche Schonung der weichen Böden und ihrer empfindlichen Grasnarben. Auf einer der Weiden konnten sich die Sumpfdotterblumen bereits wieder flächendeckend ausbreiten. Die hochwüchsigen Gräser gingen stark zurück, zugunsten niedrigwüchsigerer Arten wie Ruchgras (Anthoxanthum odoratum), Rotschwingel (Festuca rubra), Kriechender Hahnenfuß (Ranunculus repens), Zweizeiliger Segge (Carex disticha) und Sumpfsimse (Eleocharis palustris). Die Aushagerung dieser Fläche ist so weit vorangeschritten, dass sie seit diesem Jahr zu den wertvollsten Flächen im Schutzgebiet, den Sumpfdotterblumenwiesen, gezählt werden kann. Aus diesem Grund wurde die Beweidung an dieser Stelle von einer zweischürigen Wiesenwirtschaft abgelöst.
Eine positive Entwicklung zeigen aber nicht nur die ehemals stark beeinträchtigten Flächen. Auch die schon vor zehn Jahren sehr wertvollen Sumpfdotterblumenwiesen konnten sich weiterentwickeln. Die große Sumpfdotterblumenwiese, die früher nur gemulcht wurde, wird jetzt zweimal jährlich geheut, unter vollständigem Verzicht auf Düngung. Diese ideale Bewirtschaftungsform trägt Früchte, die man am eindrucksvollsten genießt, wenn im April die ganze zweiinhalb Hektar große Wiese in dem leuchtenden satten Gelb abertausender Sumpfdotterblumen voll erblüht. Die ehemals von Rindern zertretene Sumpfschachtelhalmwiese wurde nach deren Verbannung vom Breitblättrigen Knabenkraut erobert. Innerhalb weniger Jahre baute sich aus den angewehten Samen der benachbarten Orchideenwiese des Naturliebhabers ein Bestand von mittlerweile vielen hundert Exemplaren auf. Zur Blütezeit im Mai bieten die zahlreichen tiefroten großen Blütenkolben zwischen Schachtelhalm und Sauergras einen einzigartigen Anblick. Es ist wie ein Wiederaufflackern der floristischen Pracht, die diese Wiesen auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung dereinst geboten haben müssen, bevor sie modernen Produktivitätserfordernissen wichen.
Die idealen extensiven Bewirtschaftungsformen und zahlreiche neu angelegte Einzelbiotope, wie z. B. acht neue Gewässer, schaffen Freiräume für eine kaum erwartete floristische Entwicklung. Anstelle der ehemals sieben Pflanzenarten der Roten Liste, die im Pflege- und Entwicklungsplan verzeichnet sind, werden heute 19 gefährdete oder vom Aussterben bedrohte Arten gezählt.
Liste der RL-Pflanzenarten: Trauben-Trespe (Bromus racemosus, RL 3) Gewöhnlicher Frauenmantel (Alchemilla vulgaris agg., RL 3) Schnabel-Segge (Carex rostrata, RL 3) Blasen-Segge (Carex vesicaria, RL 3) Zierliches Tausendgüldenkraut (Centaurium pulchellum, RL 3N) Geflecktes Knabenkraut (Dactylorhiza maculata, RL 3) Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza majalis, RL 2N) Bach-Nelkenwurz (Geum rivale, RL 3) Wasserfeder (Hottonia palustris, RL 3) Dreifurchige Wasserlinse (Lemna trisulca, RL 3) Wechselblütiges Tausendblatt (Myriophyllum alternifolium, RL 2) Röhrige Pferdesaat (Oenanthe fistulosa, RL 3) Sumpf-Blutauge (Potentilla palustris, RL 3) Haarblättriger Wasserhahnenfuß (Ranunculus trichophyllus, RL 3) Großer Klappertopf (Rhinanthus serotinus, RL 3N) Grüne Teichbinse (Schoenoplectus lacustris, RL 3) Graue Teichbinse (Schoenoplectus tabernaemontani, RL 3N) Vielwurzelige Teichlinse (Spirodela polyrhiza, RL 3) Sumpf-Dreizack (Triglochin palustre, RL 2)
Dieser eindrucksvolle Beleg für das enorme Entwicklungspotential der Auenstandorte hängt einerseits mit dem Samenvorrat im Boden zusammen und andererseits mit der Biotopverbundachse entlang des Welter Baches. An vielen Stellen wurden die altgewachsenen Bodenschichten durch Abtragung von Aufschüttungen oder Anlage neuer Gewässer angeschnitten. Viele Samen, die eine lange Zeit im Boden überdauert hatten wurden reaktiviert. Sie erwachten gewissermaßen aus ihrem "Dornröschenschlaf". Andere möglicherweise bereits seit langem vorhandene aber übersehene Arten gelangten durch die Extensivbewirtschaftung wieder zur Ausbreitung. Viele Samen wurden wahrscheinlich auch über das "grüne Band" der Bachaue neu eingetragen.
Der Welter Bach kann damit als ein Beispiel für die Regenerationsfähigkeit der Vegetation dienen, wenn der Mensch ihr Freiräume für die Entwicklung eröffnet. Martin Groß, Alter Gartenweg 3 A, 48249 Dülmen E-mail: mauerfuchs@aol.com
Literatur: SCHÄPERS, J. (1986): Landschaftsökologisches Optimierungskonzept für das Bachsystem "Karthäuser Mühlenbach", Kreis Coesfeld. Unveröffentlicht GROß, M. (1991): Die Vegetation im Einzugsbereich des Karthäuser Mühlenbaches bei Dülmen in Westfalen - Schutz und Entwicklung. Diplomarbeit. Unveröffentlicht. GROß, M. (1994): Pflege- und Entwicklungsplan NSG "Bachauenkomplex am Welter Bach". Unveröffentlicht. GROß, M., HEITZ, H., KISTENEICH, S., SCHÄPERS, J., WALTER, P. (1998): Kooperationsmodell für eine erfolgreiche Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen.LÖBF-Mitteilungen, 3/98. Bitter, Recklinghausen. LÖBF/LAFAO (1995): Rote Liste der Pflanzengesellschaften in Nordrhein-Westfalen. Schriftenreihe der Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten / Landesamt für Agrarordnung, Band 5. Landwirtschaftsverlag, Münster. LÖBF/LAFAO (1999): Rote Liste der gefährdeten Pflanzen und Tiere in Nordrhein-Westfalen - 3. Fassung. Schriftenreihe der Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten / Landesamt für Agrarordnung, Band 17. Recklinghausen.
Veröffentlicht im "KIEBITZ" - 21. JAHRGANG - HEFT 2/2001 |